Das Internet für Juristen - (AnwBl. 5/97, 272, Forts. v. AnwBl 10/96, 529)

Das Internet für Juristen
Kommunikation, Firmennetz
Rechtsanwalt Timm Hitzfeld, Augsburg

Eben hat sich das Fax durchgesetzt, da wartet schon ein neues Medium darauf, entdeckt und angewendet zu werden:
E-Mail. E-Mail sei die elektronische Variante der Briefpost, kann man hören. Tatsächlich erhält man damit die Möglichkeit, Texte von Computer zu Computer zu verschicken. Andererseits ist der Begriff zu weit, denn auch per Fax werden elektronisch Texte verschickt. Was also bringt uns E-Mail?
Wer schon einmal versucht hat, ein erhaltenes Fax auf besondere Art zu archivieren, z.B. in ein Datenbankprogramm einzulesen, der weiß, daß man dazu die gesamte Faxseite erst scannen[1] muß. Das ist aufwendig und verschlingt unnötig Platz im Computer/PC. Und sogar dann wird der enthaltene Text erst wieder zugänglich, wenn man ihn zusätzlich per Texterkennungs-Software nachbearbeitet[2]. E-Mail hingegen wird vom PC direkt als Text empfangen. Anders als beim Fax wird der Text nicht erst photographiert. Der Text steht zu Datenverarbeitungszwecken unmittelbar zur Verfügung. Auch gewinnt der Versendevorgang dadurch entschieden an Zeit. Beim Versende- und Empfangsvorgang (das sind die Kosten produzierenden Momente) ist E-Mail dem Fax in der Regel überlegen, da es schneller ist. Ein weiterer Vorteil ist, daß sich mit einer E-Mail mehrere Empfänger gleichzeitig erreichen lassen.

Per E-Mail lassen sich im Prinzip zwar nur einfache, unformatierte Botschaften verschicken; das wird aber durch die Möglichkeit ausgeglichen, an diesen Text sogenannte Attachments anzufügen. Beliebige Dateien können derart angehängt werden, also z.B. auch WinWord- Excel- oder Access-Dokumente. Damit eröffnet sich ein weites Anwendungsfeld. Die überörtliche Kanzlei kann auf diese Weise schnell, porto- und papiersparend Aktenstücke austauschen. Der Steuerberater erhält die Buchungen, der Korrespondenzanwalt die farbige Unfallskizze oder die gesprochene Zeugenaussage. Darüber hinaus verlagert sich ein Teil des Papierverbrauchs auf den Empfänger. Dieser wird sich, je nach Bedarf, die entsprechende Anzahl von Kopien ausdrucken.
Für die angesprochenen Nutzungsmöglichkeiten benötigt man einen Computer mit Internet-Anschluß[3] inklusive Drucker und E-Mail-Software. Für den Einstieg empfehlenswert ist die Nutzung der Software "Netscape" oder "Internet-Explorer" von Microsoft. Man erhält hiermit zusätzlich ein gutes E-Mail-Programm.
Der erforderliche Installationsaufwand kann vom Laien bewältigt werden. Es ist übrigens nicht nötig (anders als beim Fax), daß die E-Mail-Station durchgehend angeschaltet ist. Die Zwischenlagerung übernimmt dann automatisch der Internet-Zugangsdienst (Provider). Ebenso kann man selbstverständlich parallel mit dem jeweiligen PC alle üblicherweise in einer Kanzlei anfallenden Arbeiten erledigen, benötigt also kein getrenntes Gerät. Die Provider-Gebühren werden im Rahmen des Zugangsvertrages abgerechnet. E-Mail kostet normalerweise nichts extra. Auch bei Volumen- oder Zeitabrechnung fallen die verursachten Anteile regelmäßig wenig ins Gewicht[4].
Nachteil dieser Kommunikationsform sei der ungeschützte, offene Datentransfer über das Internet, kann man ebenfalls hören.

Das ist sicher richtig. Andererseits, wo gibt es den verschlüsselten Datentransfer? Weder Fax, Telefon noch Briefpost bieten derartiges. Schutz bietet hier außer der Umschlagsfunktion des Mediums nur die garantieähnliche Gewähr des ehemals staatlichen Transporteurs, wonach alles seine Ordnung habe. Zum einen wird hier jedoch weitgehend privatisiert, zum anderen werden private Mediendienste und Datentransportdienste zunehmend einer besonderen gesetzlichen Kontrolle unterworfen, so daß die Übertragung in naher Zukunft eine gute durchschnittliche Sicherheit bieten dürfte. Wer auf besondere Vertraulichkeit angewiesen ist, hat jedoch die Möglichkeit, die E-Mail-Nachricht zu verschlüsseln. Marktführend ist die Software "PGP". Ausgehend von einer internationalen Version dieser Software ist die Benutzung auch außerhalb der USA erlaubt[5].
Durch den Internet-Zugang eröffnet sich eine weitere Kommunikationsvariante: die Newsgruppen oder -foren[6]. Es handelt sich um elektronische "Schwarze Bretter", die zur öffentlichen, themenorientierten Nutzung freigeben sind. Meiner Erfahrung nach wird dieses Medium vom Anwalt praktisch nicht nachgefragt. Einsatzmöglichkeiten bieten sich jedoch, wenn man diese Foren als "online-Zeitung" benutzt. Im Rahmen des standesrechtlich Erlaubten könnte man hier auf seine Interessengebiete aufmerksam machen, Anfragen an die juristische Allgemeinheit stellen oder z.B. auf die Suche nach Zeugenaussagen gehen.
Für den Einsatzbereich des Anwalts besonders geeignet ist meines Erachtens ein ähnliches Medium, der sogenannte "Internet-Relay-Chat" (IRC). Mit Hilfe dieser Software kann man sich elektronisch "auf" einem Rechner des Internet treffen und eine Konferenz abhalten. Das läßt sich so einrichten, daß die Konferenz völlig privat oder sogar nach außen unsichtbar und sicher abläuft. Die Konferenz wird abgehalten, indem jeder Teilnehmer über die Tastatur mit den anderen auf einem besonderen Bildschirmausschnitt kommuniziert. Eine Zeitverzögerung durch die Zustellaktion der Software findet nicht statt (Direktkommunikation). Im Regelfall benötigt man dazu die Hilfe einer schnellen Schreibkraft, der man den Text diktiert. Varianten und Fortentwicklungen dieser Software beinhalten Funktionen der direkten Sprach- oder Bildübertragung. Solche Videokonferenzsoftware[7] enthält meist auch die Möglichkeit, auf dem gemeinsamen Bildschirmausschnitt zu zeichnen (Whiteboard) oder Dateien gemeinsam zu nutzen. Die Videokonferenz über das Internets steckt noch in den Kinderschuhen, bzw. wird durch zu geringe Leitungsquerschnitte gebremst. Einsatzfähig ist die direkte Videokonferenz über ISDN, schnelles Modem oder innerhalb eines Firmennetzes.

Wem die eingangs beschriebenen Möglichkeiten nicht genügen, per E-Mail Dateien zu versenden und zu empfangen, dem bietet das Internet eine Erweiterung, den direkten Dateitransfer per FTP. FTP ist lediglich der Name für die Dateiübertragung im Internet bzw. für die entsprechende Software. Damit lassen sich von zu Hause aus, abends oder am Wochenende, schnell ein paar Aktenstücke aus der Kanzleidatenbank holen oder in sie übertragen. Zugangsrechte sind persönlich einstellbar. Der jeweilige Computer in der Kanzlei muß dazu angeschaltet sein[8]. Der Provider sollte informiert werden, da er solche Zugriffe sonst eventuell unterbindet. Der Einsatz von FTP im Kanzleibetrieb wäre auch für die Korrespondenz mit Mandanten oder Dienstleistern vorstellbar. Auf der Basis entsprechender Zugriffs- und Leserechte ließe sich die Korrespondenz transparenter und flexibler gestalten. Voraussetzung wäre natürlich eine aktuell gehaltene Dokumentendatenbank.
Im vorherigen Absatz kam eine Tatsache zum Ausdruck, die auf Anhieb nicht leicht einzuordnen ist. Man holt sich den Internet-Zugang zwar ins Haus und eventuell auch an mehrere PC's. Das Internet bleibt aber eine Sache, die sich vorstellungsmäßig außerhalb der eigenen Räumlichkeiten abspielt. Diese Vorstellung ist unvollständig. "Internet" ist eine grundlegende Kommunikationsmöglichkeit (ein Verständigungsprotokoll[9]) für nahezu jeden Computer. Mit Software dieser Art läßt sich auch das lokale Kanzleinetz aufrüsten. Damit stehen dann intern alle Softwaredienste zur Verfügung, die sonst "im Internet" für die globale Datenübertragung vorgesehen sind[10].

"Internet" eignet sich besonders gut zur Vernetzung verschiedener Betriebssysteme. So lassen sich etwa "Mittlere Datentechnik" und vorhandene PC's unter eine gemeinsame Nutzer-Oberfläche bringen. Bestehende Netzstrukuren, etwa ein Novell-Netz, lassen sich parallel betreiben. Der PC-Anwender bekommt mit Windows 3.11 oder Windows 95 eine geeignete Internet-Vernetzungsstruktur schon in die Hand. Solche Aufrüstungsmaßnahmen sind in aller Regel vom Fachmann vorzunehmen.
Vom ambitionierten Laien durchführbar ist hingegen die Beschaffung eines Internet-Anschlusses für die gesamte Kanzlei. Ausgehend vom Vertrag mit dem Provider bedarf es hierzu lediglich eines beliebigen, modernen Computers mit Modem oder ISDN-Karte. Man installiert die Software des Providers und erhält damit einen Internet-Einzelplatz, etwa für die eigene Bibliothek. Falls die Kanzlei vernetzt ist (Computernetz), läßt sich mit z.B. Windows 3.11 oder Windows 95 dieser PC auch von einem anderen, eigenen Computer aus als Internet-Zugang ansprechen[11]. Auch der (geschützte) Zugriff von außerhalb auf Computer der Kanzlei wird damit grundsätzlich möglich.
Selbstverständlich läßt sich dieser Zugang weiter ausbauen z.B. dahingehend, daß mehrere Kanzleikräfte gleichzeitig Internet-Zugriff haben[12]. Diese Lösung muß nicht im eventuell vorhandenen Novell-Server eingebaut werden. Es genügt ein anderer, leistungsstarker, vernetzter PC. Weitere Nutzungsverträge mit dem Provider müssen meist nicht abgeschlossen werden[13]. Benötigt werden allerdings zusätzliche Internet-Adressnummern für alle anzuschließenden PC's.

Als existierender Beinahe-Standard zur Vereinheitlichung verschiedenartiger Nutzeroberflächen, Betriebssysteme und Datenverbindungen wird das Internet sicherlich auch in der Kanzlei Einzug halten. Neben den geschilderten Einsatzmöglichkeiten rückt nun auch die einfach und kurzweilig abfragbare Kanzleidatenbank in greifbare Nähe: Sie präsentiert sich im Gewand des World-Wide-Web und kann "abgesurft" werden. Auf dieser Basis kann mit geeigneter Software ebenso ein regelrechtes Informationssystem betrieben werden, in dem alles Platz findet, auch Faxe oder juris-Recherchen[14].
Der Beitrag wird fortgesetzt.


[1] Das Dokument wird dabei als Bild in den Computer "hineinkopiert". Dazu wird ein zusätzliches Gerät benötigt. Beim Einsatz eines Faxmodems statt eines eigenständigen Faxgerätes entfällt dieser Arbeitsschritt. Jedoch muß dann grundsätzlich ein betriebsbereiter PC an das Modem angeschlossen sein.
[2] Die Qualität der Texterkennung hängt davon ab, ob die entsprechende Software regelmäßig benutzt (trainiert) wird.
[3] Beschrieben wird Internet-E-Mail, ein sich gerade etablierender Standard. Zum Internet-Anschluß vergleiche den vorherigen Beitrag in AnwBl. 10/96. Der Anschluß benötigt ein zusätzliches Internet-Terminalprogramm (enthalten in den Komplettpaketen der Major-Players oder z.B. im Shareware-Paket Trumpet Winsock).
[4] Bei Volumenabrechnung kann der Versand von Textdateien mit vielen enthaltenen Grafiken (z.B. WinWord ist hier sehr "gefräßig") oder von unkomprimierten Sounddateien einiges kosten. Auch haben manche Zugangsdienste Probleme mit Dokumenten von über 2 MB Datenvolumen.
[5] Gemeint ist die Version 2.6.3.i. Erhältlich per FTP aus jedem größeren öffentlichen Dateiarchiv, z.B.: ftp://ftp.cert.dfn.de/pub/tools/crypt/pgp/
Bei der Benutzung für kommerzielle Zwecke benötigt man eine Lizenz des IDEA-Algorithmus. Kontakt: Ascom Systec AG, IDEA Licensing, Gewerbepark, CH-5506 Maegenwil, Tel./Fax: 0041/62/889 59 54.
[6] Siehe dazu auch: Erstbeitrag dieser Folge: Hage, AnwBl 7/96, 376.
[7] Aufsehenerregend, wenngleich nicht ganz den aktuellen Standards folgend, ist das Paket der Firma Connectix (Farbkamera und Software zur Konferenz über Internet, ISDN, Modemdirektverbindung oder LAN). Gut ist der Einsatz eines Rechners mit mindestens Pentium 100 MHz-Prozessor. Auskunft gibt der Fachhandel.
[8] Bzw. einen konfigurierten Einschaltmechanismus haben. Eine Erweiterung des FTP-Programmes, ein FTP-Serverprogramm muß ebenfalls installiert sein (in Komplettpaketen wie z.B. Chameleon, Fa. Netmanage Neufahrn, schon enthalten).
[9] IP, TCP/IP, genormt nach MIL-STD 1777 bzw. RFC 791/793.
[10] Also: Nachricht per E-Mail oder Datenübertragung per FTP vom Sekretariat ins Anwaltszimmer, interne Videokonferenz, interner Web-Server, etc.
[11] Über die "Peer to Peer"-Funktion, siehe im jeweiligen Handbuch.
[12] Auf dem Zugangsrechner muß dann eine multiplex-fähige Erweiterungsoftware laufen. Z.B. Banzai! oder ISPA, auch das Chameleon-Paket scheint geeignet zu sein. Oder eben Windows NT, Unix.
[13] Er rechnet den Firmenanschluß pauschal ab oder ohnehin kontingentorientiert.
[14] Zu nennen etwa InterNotes von Lotus GmbH, 81379 München, Topic Agent Server von Verity GmbH, 63762 Großostheim.